Wie wir die vier größten Jobshare-Mythen entschärft haben Seit zehn Jahren arbeiten wir gemeinsam als Führungsspitze Damals, 2009, war die Skepsis seitens der Kollegen und Chefs groß. Noch heute stehen Jobshare-Modellen Vorurteile im Weg.

Christiane Haasis und Angela Nelissen sind seit 2009 Chan. Als Jobshare-Tandem teilen sie sich seit April 2018 den Posten des Vice President für Refreshment in Deutschland, der Schweiz und Österreich bei Unilever. Damit sind sie für dessen größten Geschäftsbereich verantwortlich, das Eis- und Teesortiment, und das weltweit einzige Jobtandem auf Geschäftsführerebene. Zuvor teilten sie sich bereits acht Jahre lang einen Direktorenposten.Unser Vorteil waren 15 Jahre Managementerfahrung

Zwar waren wir damit nicht die Ersten, die dieses Arbeitsmodell bei uns in der Firma etablierten, doch waren wir die Ersten auf Direktorenebene. Dazu gehörte nicht nur ein Geschäftsbereich mit Markenverantwortung, sondern auch ein großes Team aus drei Ländern. Die Nervosität in der Topetage war anfangs deutlich zu spüren. Auch im Aufsichtsrat wurde über unsere Idee diskutiert. Doch wir hatten einen Vorteil: Zu diesem Zeitpunkt waren wir bereits erfahrene Führungskräfte. Jede von uns brachte 15 Jahre Managementerfahrung mit. Unsere Chefs wussten: Die beiden können das! Zudem wollte der damalige CEO Paul Polman den Frauenanteil in Führungsebenen stärken. Mit unserer Bewerbung trafen wir also auf fruchtbaren Boden.

Dennoch sahen wir uns natürlich mit Skeptikern und Mythen konfrontiert. Um alle Geschäftsführer von unserer Idee zu überzeugen, sprachen wir mit jedem von ihnen einzeln. Wir ließen sie Teil des Prozesses werden und erklärten, was auch sie von uns als Jobtandem hätten. Dabei sind uns einige Mythen begegnet, mit denen wir aufräumen wollen.

Mythos 1: Leadership ist solitär

Damals war vielen Entscheidern nicht bewusst, wie eine gemeinsame Führung funktionieren kann. Klassische Unternehmen sind hierarchisch organisiert. Ob Teamleitung oder Vorstandsvorsitzender, es gibt einen Entscheider – und damit auch ein Ego. Personen in höheren Posten können sich oft nicht vorstellen, dass andere bereit sind, Erfolge und Errungenschaften zu teilen. Wir dagegen achten immer darauf, dass der andere gut aussieht, denn auf diese Weise erscheinen auch wir selbst in gutem Licht. Den Mythos des einsamen Entscheiders konnten wir nur dadurch aus der Welt schaffen, indem wir diese Zusammenarbeit leben und aufzeigen, dass es funktioniert.Ein Argument, das viele Gesprächspartner überzeugt hat, ist, dass immer einer von uns beiden ansprechbar ist. Urlaub, Krankheit, Konferenzen – etwa zehn Wochen im Jahr sind Mitarbeiter nicht verfügbar. Das gilt natürlich auch für Teamleiter. Teilen sich Mitarbeiter einen Job, ist immer einer von beiden ansprechbar. Das ist ein Gewinn – für Vorgesetzte und das Team. Das führt jedoch zum nächsten Mythos.

Mythos 2: Jobsharing ist zu komplex

Zwei Chefs machen alles nur noch komplizierter. Der Chef muss zwei Teamleiter führen, und die Mitarbeiter haben zwei Ansprechpartner. Woher sollen Chef und Team wissen, wer von beiden gerade ansprechbar ist? Also erarbeiteten wir ein Konzept, wie wir die Zusammenarbeit so einfach wie möglich gestalten wollten. Wir machten uns zu einer Person: Chan. Von Anfang an gab es nur eine E-Mail-Adresse und klare Kontaktinfos. Wollte man uns erreichen, war das der Weg. Je nachdem, wer von uns zu dem Zeitpunkt anwesend war, antwortete. Heute haben wir für die schnelle Kommunikation im Team noch zusätzlich eine WhatsApp-Gruppe. Diese Zusammenarbeit fußt auf Vertrauen.

Mythos 3: Wer nicht Vollzeit arbeitet, hat keine Karriereambitionen

Wenn man sich einen Job teilt, ist man nicht ehrgeizig genug. So die Meinung vieler. Auch Müttern, die in Teilzeit gehen, wird gern vorgeworfen, dass sie keine Karriere machen wollten. Was für ein Unsinn. In unserer Leistungsgesellschaft wird stattdessen erwartet, dass man sich mit 60 Stunden die Woche in den Burn-out arbeitet. Dieses Vorurteil konnten wir nur durch Konsistenz widerlegen.

Wenn wir gefragt wurden, welche beruflichen Ziele wir hätten, haben wir geantwortet: einen Posten als Vice President. Von Gesprächspartnern, die sich totgelacht und uns belächelt, bis zu jenen, die uns bestaunt haben, haben wir alles erlebt. Wir meinten das ernst und haben darauf hingearbeitet. Heute haben wir es geschafft.

Mythos 4: Nur Freunde können Jobsharer werden

Wir hören immer, wir seien doch bestimmt befreundet. Sicher, wir sind einander freundschaftlich zugewandt, doch befreundet sind wir nicht. Im Zweifel ist es sogar besser, nicht befreundet zu sein. Jobsharing ist eine professionelle Teamarbeit. Bei uns im Unternehmen gibt es über 100 Jahre Jobtandem-Erfahrung, bisher haben etwa 30 Frauen im Duo gearbeitet. Eine Kollegin hat in Rotation mit vier verschiedenen Partnerinnen zusammengearbeitet. Jedes Jobsharing war anders, aber die Zusammenarbeit hat immer funktioniert. Eine andere Kollegin hat sich gerade auf 70/40-Basis mit einer externen Mitarbeiterin zusammengetan. Wir sind überzeugt: Auch das kann funktionieren. Es ist wie bei dem Musikduo Simon and Garfunkel: Wenn das Ziel ist, gemeinsam auf der Bühne Erfolg zu haben, dann schaut man, wer was gut kann. Wer kann die besseren Songs schreiben? Wer performt auf der Bühne besser? So funktioniert jedes Jobsharing. Wir sind ausgeglichener und kreativer.

Diese Mythen verhindern, dass Interessierte den Schritt in Richtung Jobsharing gehen. Deswegen ist die Diskussion darüber so wichtig. Wir beispielsweise arbeiten jeweils 60 Prozent. Jede von uns ist an drei Tagen in der Woche ansprechbar. Damit haben wir zwar einen Überhang von 20 Prozent, doch bedienen wir zu zweit ein viel größeres Themenfeld, als wir das einzeln könnten. Gesamtstrategien, an denen wir monatelang sitzen, erarbeiten wir gemeinsam, ansonsten teilen wir uns unsere Bereiche auf. So ist es für uns möglich, bei Themen in die Tiefe zu gehen. Wenn wir unsicher sind, besprechen wir uns im Team oder auch zu zweit.

Nicht alles ist rosig, auch nach zehn Jahren lernen wir noch dazu. Jeder von uns bringt Energie und Brainpower mit, aber natürlich auch eine eigene Meinung. Daher gilt grundsätzlich für uns: Konstruktive Businessfragen diskutieren wir im Führungsteam und treffen hier eine gemeinsame Entscheidung. Interne Konflikte, die es Gott sei Dank sehr selten gibt, besprechen wir unter vier Augen.

In den vergangenen Jahren gab es viel Interesse seitens anderer Unternehmen. Wir haben Zeit investiert und erläutert, wie Jobsharing funktionierten kann. Daraus geworden ist in den meisten Fällen jedoch nichts. Das zeigt: Bis sich dieses neue Denken von Führung und Arbeitsmodellen in jedes Unternehmen getragen hat, ist es noch ein langer Weg. Diskussionen und Vorträge auf Konferenzen wie der New Work Experience sind deshalb enorm wichtig, um ein Bewusstsein zu schaffen – auch bei den männlichen Kollegen. Wer weiß, vielleicht animieren wir Teilnehmer zum Jobsharing. Glauben Sie uns: We all can Jobshare!

Quelle: manager magazin